Wie Design Geschichte sichtbar macht

Interview mit Philipp Lach

Ein Student der Produktgestaltung an der BGBA Hanau über sein außergewöhnliches Projekt: die 3D-Rekonstruktion der ehemaligen Judengasse in Hanau

 

Philipp, wie ist die Idee zum Projekt Judengasse” entstanden?

Ursprünglich kam das Ganze über meine Mutter. Sie hatte für einen Vortrag recherchiert, was mit der ehemaligen Synagoge in Hanau passiert ist und wie sie ausgesehen hat. Wir wohnen direkt auf dem Grundstück, wo sie früher stand. Mit Erlaubnis des Hausarchivs durfte sie in alten Bauakten schauen und da fand sie Pläne aus der Zeit von etwa 1898 bis 1920.

Diese Unterlagen waren unglaublich spannend, auch weil man darin schon sehen konnte, wie damals kurz vor dem Pogrom manche Beamte offenbar versuchten, Akten zu „verlieren“. Meine Mutter hielt später einen Vortrag über das jüdische Leben in Hanau und so entstand die Idee, das Ganze auch visuell erlebbar zu machen. Da ich mich im 3D-Druck gut auskenne, habe ich ein Modell der Synagoge entworfen und gedruckt, um es bei ihrem Vortrag zu zeigen.


Und daraus wurde dann weit mehr als ein Modell für einen Vortrag …?

Tatsächlich gab es schon seit 5 Jahren die Überlegung ein Denkmal zu schaffen, aber es fehlten die Ideen dafür. Durch die Funde im Stadtarchiv gab es dann greifbare Informationen, die dann als 3D Modell nochmal viel anschaulicher wurden, so dass der Vorschlag sehr gut ankam, dass man die gesamte Judengasse als Denkmal vorstellt.

Mir war sofort klar: Wenn man die Judengasse als Ensemble rekonstruiert, also die Straßenzüge, die engen Häuser, dann zeigt man, dass dort Menschen gelebt haben dass Geschichte nicht abstrakt ist. Ich wollte kein Denkmal schaffen, das nur aus einem Stein mit einer Inschrift besteht, sondern ein Abbild eines Lebensraumes.

 

Wie sah der Gestaltungsprozess dann aus?

Am Anfang stand die Frage nach dem Material. Bronze war im Gespräch, aber wegen möglicher Gussfehler war es wieder verworfen worden. Ich schlug vor, die Gebäude aus Metall im 3D-Druck zu fertigen, etwa aus Edelstahl oder Titan. Das war technisch anspruchsvoll, aber realisierbar.

Ich habe Angebote eingeholt, erste Probedrucke in Kunststoff gefertigt, mit silbernem Lack versehen und verteilt, damit sich alle vorstellen konnten, wie das Denkmal wirken würde. Denn auf dem Bildschirm verliert man oft das Gefühl für den Maßstab und die Materialität.

Am Ende haben wir mit der Stadt, der jüdischen Gemeinde und der Firma Evonik zusammengearbeitet, die den Metall-Druck sponserte. Das war ein langer Weg, aber am Ende hat es sich gelohnt. 

 

Was war dir inhaltlich und gestalterisch wichtig?

Mir ging es darum, Respekt zu zeigen und zwar durch Reduktion. Ich wollte keine Figuren darstellen, keine Menschen, weil das schnell entwürdigend wirken kann. Stattdessen sieht man heute eine leere Straße, einen rekonstruierten Straßenzug und versteht, dass hier ein ganzes Viertel ausgelöscht wurde. 

Gestalterisch habe ich mit Herrn Professor Krämer über Details gesprochen. Es wäre technisch möglich gewesen, Dachziegel oder Mauerwerk darzustellen – aber er sagte zu mir: „Das wäre zwar schön, aber auch kitschig.“ Und er hatte recht. Es sollte schlicht, aber eindrucksvoll sein.

 

Du hast eine Tischlerausbildung – hilft dir das heute in der Produktgestaltung?

Ja, sehr. Als Tischler habe ich gelernt, mit Material zu denken. Ich habe schon immer gern entworfen, aber genauso gern ausprobiert, ob etwas auch baubar ist. Dieses Zusammenspiel von Idee und Machbarkeit ist das, was mich reizt. Und das zieht sich auch durch dieses Projekt: Alles begann mit der historischen Recherche, dann der Idee, der digitalen und handwerklichen Umsetzen.


Gab es Momente, in denen du das Projekt am liebsten aufgegeben hättest?

Hinschmeißen wollte ich nie, aber es gab stressige Phasen. Zum Beispiel, als der Stein für das Fundament plötzlich nicht geliefert werden sollte. Ich bekam abends einen Anruf: „Das klappt nicht rechtzeitig.“ Da habe ich wirklich kurz gedacht: „Das kann jetzt nicht sein!“

Aber am Ende hat alles geklappt. Mit der Zeit wurde mir immer mehr Verantwortung übertragen. Der Kulturbereichsleiter schrieb den Gewerken irgendwann direkt: „Bitte stimmen Sie sich mit Herrn Lach ab.“ Das war ein großartiges Gefühl und hat mir gezeigt, wie sehr die Stadt mir vertraut.

Was nimmst du aus dem Projekt mit?

Dass Geschichte Gestaltung braucht. Dass man Erinnerung nicht nur erzählen, sondern sichtbar machen kann. Ich habe gelernt, dass Design weit mehr ist als Ästhetik. Es kann Brücken schlagen zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Und ich würde allen Studierenden sagen: Wenn ihr eine Idee habt, traut euch, sie auszusprechen. Redet mit Leuten, zeigt euch, bleibt dran. Ich hätte nie gedacht, dass aus dieser kleinen Idee ein offizielles Denkmal der Stadt Hanau wird.